Die
Veranstalter hatten die Konferenz auch diesmal bewusst klein
gehalten, so dass sich "nur" ca. 160 Teilnehmende zwischen
den über den Brown Campus verteilten Lecture Halls
etwas verliefen. Durch diese räumliche Zerrissenheit
konnte die familiäre und intensive Atmosphäre der
letztjährigen DAC (Universität Bergen, Norwegen)
leider nicht aufkommen. Es fehlte ein zentraler Ort, an dem
die Teilnehmenden in den Pausen zwischen den Session
zusammenkommen konnten. Dieser Austausch sowie kurze Wege
zwischen den Veranstaltungsräumen sind gerade für
eine Konferenz mit parallelen Tracks wichtig: nicht nur
fürs Session-Hopping sondern auch, um von verpassten
Sessions first hand Berichte zu bekommen. Ohne einen solchen
Austausch stellt sich schnell das Gefühl ein,
große Teile der Konferenz verpasst zu haben. Auch
Diskussionen aus den Sessions fortzuführen ist nur
schwer möglich, wenn die Beteiligten schnell in
unterschiedliche Richtungen weitermüssen. Andererseits
finden sich in Brown auf und rund um den Campus ausreichend
Cafes und kleine Restaurants, so dass es immer eine
Möglichkeit gab, sich in kleinen Gruppen
zusammenzufinden. Dadurch blieb das Potential zum Netzwerken
und Kontakten auch auf der DAC 2001 erhalten.
Auch inhaltlich fehlte der
DAC dieses Jahr ein wenig das Zentrum. Ted Nelson setzte mit
seiner polemisch-satirischen Opening Keynote nur scheinbar
ein Leitmotiv: Interface und Usability. Das Internet und die
Anwendungen im Netz, so Nelson, sei von den Geeks gemacht -
und die machten keine benutzbaren Interfaces. Seine
Lösung: strukturierte Daten, die dynamisch in auf den
Nutzer zugeschnitten Templates gezogen werden und dort z.B.
semantisch verknüpfbar sind. Inhalte in Datenbanken zu
halten und dann in eigenen Oberflächen anzuzeigen soll
laut Nelson auch der Ausweg aus den Standard-Wars der
Interface-Multis sein. Dass diese Konzept weitgehend auf XML
oder einen Nelson-Standard auf der Basis von XML darstellen
würde, blieb unerwähnt. Es folgte eine Session zum
Thema "Interface": Susana Pajares Tosca sprach über
gängige räumliche Navigations- und
Präsentationsmetaphern, Terry Harpold über das
Interface als Text.
Später befassten sich
Michael Mateas mit intelligent agents, Frank Shipman mit
Grenzüberschreitungen zwischen "realem" und virtuellem
Interface in Fantasy Sports, N. Katherine Hayles oder
Madeleine Sorapure mit Text, Körper und
Verkörperung. Insgesamt jedoch brachten die
Vorträge wenig Neues, auch die Diskussionen blieben
verhalten. Themen wie "Image", "Body" oder "Art" als
Sammelbehälter bedienten eher Standards als zu
überraschen. Positiv fielen seltene Versuche auf,
Alltagsmythen der digitalen Welt zu demontieren, wie Jenny
Sundèns Vortrag über Geschlechterzuweisungen in
MOOs "The Embodied Computer Code".
Es scheint, als fehle der
digitalen Kunst und Kultur ein kleiner innovativer Urknall.
Sicher macht es auch im schnellebigen Multimedia-Bereich
Sinn, Texte aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts
nicht als unzeitgemäß abzutun. Die wenigsten
Projekte wurden bisher angemessen untersucht und dass
Afternoon oder Myst als Themen inzwischen fast Tabu sind,
liegt sicher nicht an der (mangelnden) Qualität des
Outputs eines ganzen Jahrzehnts sondern daran, dass eben nur
den prominentesten Vertretern bisher ausreichend
Aufmerksamkeit gezollt wurde. Trotzdem beschleicht den
Rezipienten kombinatorischer Lyrik oder historischer Spiele
auf historischen Konsolen ein drängendes Verlangen nach
wirklich Neuem. Nach Projekten mit einer Durchschlagkraft
wie eben Afternoon oder Myst sie ihrerzeit
hatten.
Vielleicht ist es an der
Zeit, dass die wissenschaftliche Community ihr Misstrauen
gegenüber der Wirtschaft aufgibt. An wenig prominenter
Stelle traf man auf der DAC kommerziell geprägte
Projekte wie www.ottoandiris.com (intelligent agents in
einer spielerischen Cartoon-Umgebung). Aber derartige
Produktionen sind teuer. Einzelautoren sind kaum mehr in der
Lage, multimediale Projekte allein zu entwickeln. Statt des
einsamen Genies sind jetzt Teams aus Spezialisten am Werk,
die ihre Kompetenzen in Bild, Ton, Text oder Programmierung
beitragen. Solche Teams findet man heute vor allem in
kommerziellen Zusammenhängen, denn nicht nur die
technologische Entwicklung vom Bleistift zum digitalen
Schnittplatz macht Multimedia teuer. Das romantische Bild
vom armen Poeten und der schönen Kunst gilt nicht mehr.
Vielleicht kann der neue Urknall in der digitalen Kunst und
Kultur aus der konsequenten Mischung der Elemente
Wissenschaft und Wirtschaft entstehen.
DAC ist und bleibt ein
wichtiges Forum - auch um das offenbare Dilemma der
digitalen Kunst und Kultur zu thematisieren. Die engagierte
Gruppe, die am Freitag Morgen im "Town Meeting" über
die Zukunft der DAC brainstormte, hatte etliche Ideen, wie
sich die Konferenz mit ihrem eigenen Charakter und seinem
dialogischen Schwerpunkt erhalten und fortschreiben
lässt: Das war einerseits die Erkenntnis, dass
räumliche Nähe und ein Angebot an informellen
Zusammenkünften die Atmosphäre der DAC massgeblich
geprägt haben. Es gab aber auch Fürsprecher
für weniger oder kürzere Vorträge und
längere Diskussionszeiten, für weniger Keynotes,
um eine für Studierende erträgliche Preisstruktur
zu sichern oder für die Verlagerung aus
Vorlesungssälen in Räume mit einer
ausgeglicheneren Akustik, die Diskussionen statt
Frontalvorträge unterstützt ... Verbindliche
Konsens-Entscheidungen gab es keine - man darf gespannt
sein.
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