Im Mai
dieses Jahres verliehen die Vertreterinnen der Electronic
Literature Organization (ELO) Caitlin Fisher für
These
Waves of Girls
den Electronic Literature Award in der Kategorie Fiction.
Als erster Preisträgerin des nun jährlich zu
erwartenden ELO Awards kommt der Webfiction eine besondere
Stellung zu: Waves steht zumindest in den Augen der
ELO an der Spitze einer mehr als fünfzehnjährigen
Entwicklung. Andererseits muss ein preisgekrönter Text
aber auch als Trendsetter wirken, richtungsweisend für
die elektronische Literatur der nächsten Jahre. An
Waves werden sich nicht nur die zukünftigen
Beiträge zum ELO Award messen (lassen) müssen und
wohl auch orientieren.
Dazu kommt, dass eine
Preisverleihung immer auch medienwirksam ist. Die
Berichterstattung wird und soll zu Erstkontakten mit
digitaler Literatur führen, die sich unweigerlich auf
die Akzeptanz dieses Genres auswirken werden. Wer einen
preisgekürten Text vorstellt, wirbt damit gleichzeitig
für ein Genre. Tatsächlich ist digitale Literatur
derzeit noch weder ein Kritiker- noch ein Publikumserfolg.
Hier können öffentlichkeitswirksame
Maßnahmen helfen - wie ein Literaturpreis. Aber vor
allem müssen die Texte für sich selbst sprechen,
müssen nicht nur literarisch ansprechend, sondern auch
technisch und ergonomisch auf der Höhe der Zeit
sein.
Dieser Verantwortung tragen
die
Bewertungskriterien
der diesjährigen Verleihung Rechnung:
- Innovative use of
electronic techniques and enhancements.
- Literary quality,
understood as being related to print and electronic
traditions of fiction and poetry,
respectively.
- Quality and
accessibility of interface design.
Um so erstaunlicher, dass
mit Waves ein Text gekürt wurde, der zum Teil
auf drei bis vier Jahre alte Techniken zurückgreift,
ohne dass es sich dabei etwa um ein Design-Statement handeln
würde. Vielmehr wirkt Waves von Anfang an buggy. Weder
die überholte Technik der Frames noch das zur Zeit
beliebte und weit verbreitete Flash werden fehlerfrei und
sinnvoll eingesetzt. Statt dessen wird kommentarlos
riskiert, dass die Leserinnen schon an der PlugIn-Barriere
scheitern.
Ich habe Waves mit
Netscape 4.7 und 6 sowie IE 5 und 5.5 auf PC und Mac
getestet, die auftretenden Probleme blieben dabei auf allen
Plattformen weitgehend gleich. Getestet wurde weiterhin mit
einer DSL-Verbindung, über die 1 MB in unter einer
Minute lädt. Die Ladezeiten in Waves wurden mit
Hilfe der Anzeige in Netscape 6 / Mac gemessen. Technische
Probleme gibt es vor allem bei der Ladezeit, der Verwendung
von Frames, dem Einsatz von Flash und dem Umgang mit
Sounds.
Ohne die Webstatistiken
für Waves zu kennen, würde ich
schätzen, dass ca. 15% der Besucher auf der Startseite
aussteigen, im Rahmen von 50% bevor die erste Content-Seite
fertig geladen ist.
2.
Bug-Report
Laut Netscape 6, braucht die
Titelseite
von 15 Sekunden, bis das Titelbild geladen ist und nach der
Weiterleitung 6 weitere Sekunden bis zur
Hauptnavigation.
Die erste
Kapitel-Startseite
benötigt noch einmal 21 Sekunden. Um für die erste
Content-Seite einen eigenen Wert zu erhalten, habe ich den
Link "Vanessa" in einem eigenen Fenster geöffnet
nach einer knappen Minute war die Seite da. Über 1.5
Minuten bis der Inhalt angezeigt wird: dem
durchschnittlichen Surfer genügt ein Drittel, um in den
Weiten des Internet zu entschwinden und sei es, weil
die meisten Leser Webfiction minuten- oder megabyteweise
bezahlen müssen und lange Wartezeiten oder
unproportional große Bilder deshalb nur ungern und
selten in Kauf nehmen.
Frames sind eine Technik-
und Layoutlösung, für die sich heute immer
seltener entschieden wird weil Frames deutliche
Nachteile haben, aber auch wegen der hässlichen
Frameborders und vor allem der Scrollbalken, die sich oft
nicht vermeiden lassen. Nun kann ein Scrollbalken oder eine
sichtbare Border durchaus Sinn tragen: diese Elemente
könnten z.B. Brüche und / oder Grenzen
symbolisieren. In Waves sehe ich eine derartige
Verwendung nicht. Waves verwendet Frames aus einer
technischen Überlegung heraus, um nämlich
innerhalb eines Kapitels bei gleichbleibender Navigation und
Hintergrundbildern Textblöcke austauschen zu
können. Auf diese Weise kann grundsätzlich die
Ladezeit einer Site optimiert werden hier wäre
es aber sicher hilfreich gewesen, zunächst die
verwendeten Grafiken selbst zu optimieren oder den optischen
Overkill ganz zu überdenken.
Angesichts der Menge an
Alternativlösungen macht es den Eindruck, als
wären Frames als die einfachste Lösung
gewählt worden. Umso negativer fällt es auf, dass
diese Technik offensichtlich nicht beherrscht wird: Die Tags
zur Unterdrückung der Borders sind nicht überall
korrekt gesetzt, so dass Borders unregelmäßig
auftauchen. Auch Linkfehler in der Framereferenzierung, wie
z.B. Roberto Simanowski in seiner
Besprechung
nachweist, sollten in einer releasefertigen Website nicht
mehr zu finden sein.
Sogar die Idee, über
die Frames unterschiedliche Hintergrundbilder um den
zentralen Textframe herum zu laden, wurde nicht zu Ende
gedacht: Die Größen der Hintergrundbilder
entsprechen nicht den Framegrößen, können
das auch gar nicht, da für die Site keine feste
Größe angelegt wurde, so dass die relativ
definierten Einzelframes je nach Bildschirmauflösung
(oder Wunsch der Leserin) gezogen werden. Selbst wenn das
daraus resultierende Tiling, wie z.B. Roberto Simanowski
annimmt, zumindest stellenweise intentional ist, wirkt
dieser Effekt doch in den meisten Fällen als Defekt.
Schlimmstes Beispiel ist sicher
kissing
girls > Vanessa > wav,
wo der Mainframe ein animiertes GIF als Hintergrund
lädt und darüber hinaus 9 Sounds so eingebettet
sind, dass der Player angezeigt wird. Während die
AniGIFs ablaufen und die Sounds laden, flackert und blinkt
die Seite hektisch auf als würde man den
Hamsterdance auf einem Monitor mit falsch eingestellter
Hertzrate betrachten. Etwaige (web-)ästhetische
Überlegungen hinter diesen optischen Effekten kann
zumindest ich nicht erkennen.
Flash ist ein beliebtes und
weitverbreitetes Mittel zur Darstellung bewegter Bilder im
Internet. Das Programm ist in seinen
Grundfunktionalitäten relativ einfach zu bedienen und
kann über die Technik des Vor- und Nachladens von
Dateien größere Animationen ohne Streaming
anzeigen und ohne dass ein Breitbandanschluss unbedingt
vonnöten wäre. Waves verwendet Flash
für den Splashscreen, für die Hauptnavigation und
für visuelle Effekte im Text. Dabei ignoriert die
Autorin, dass es sich bei Flash um ein Programm zur
Manipulation von Vektorgrafiken handelt: Fisher animiert
verfremdete Fotografien. Dadurch werden die Grafiken
unnötig groß, was sich wiederum negativ auf die
Seitenladezeiten auswirkt. An den Stellen, an denen Flash
technisch Sinn machen würde, wird auf andere
Lösungen zurückgegriffen, was den Eindruck
erweckt, dass hier eine nur halb beherrschte Technologie als
Selbstzweck eingesetzt wird.
Als multimedialer Text
verwendet Waves neben animierten Grafiken auch
Sounds. WAV-Dateien werden stellenweise als Sound-Teppich
eingesetzt; daneben bietet der Text der Leserin auf manchen
Seiten eine Vorlesefunktion an. Auf loopende Musik wird
angenehmerweise verzichtet. Leider funktionieren die Sounds
nicht zuverlässig: So startet Waves mit einem
Mädchenlachen als Hintergrundklang manchmal. Auf
den unterschiedlichen Plattformen konnte ich das Lachen mal
hören, mal nicht, manchmal auch nur beim ersten Laden
der Startseite.
An anderen Stellen sind
Tondateien so eingebettet, dass die Player sichtbar sind.
Diese zerschießen dann wiederum das Layout. Besonders
ärgerlich werden die Sound-Dateien, wenn sie
z.B.
in einer Seite geladen werden, von der aus sie aber nicht
direkt abgespielt werden können. Dabei scheinen die
Sounds, vor allem die Vorlese-Dateien, nicht als
sinnstiftende Elemente im Text zu fungieren. Das sich im
Zusammenhang mit digitalem Text und Womens Writing
gleichermaßen anbietende Motiv der Spannung zwischen
Mündlichkeit und Schriftlichkeit zum Beispiel wird
nicht ausgelotet. Die Tonelemente verbleiben auf dem Level
technischer Spielereien, die aufgrund der fehlerhaften
Einbettung vor allem überflüssig
erscheinen.
Alles in allem wirkt Waves
nachlässig programmiert. Die oben beschriebenen
unregelmäßigen Frameborders tauchen zum Beispiel
auf, obwohl im Code weitgehend der Versuch unternommen wird,
Borders zu unterdrücken. Die wenigsten Einzelseiten
haben einen eigenen Titel. Der Quelltext der meisten Seiten
enthält jedoch den TITLE-Tag "Untitled Dokument". Es
scheint, als wäre die Site zunächst in einem
Generator entwickelt, die Generator-Information dann per
Hand entfernt worden. Die Mühe, die Dokumente einzeln
zu benennen, z.B. mit dem Datei- oder Link-Namen, wurde sich
nicht gemacht. Der Font der Navigation, besonders der
besuchten Links, hebt sich oft nur unzureichend von den
bunten Hintergründen ab, ohne dass aber z.B. besuchte
Links generell aus- oder abgeblendet werden. All dies macht
es schwer, die augenfälligen Designmängel als
gewollt zu lesen: als Design-Kritik, ironische Brechung oder
modischer Trash-Stil. Ich stelle ungern Vergleiche zwischen
Print und digitaler Kultur an, die das gedruckte Buch als
Standard setzen. Dennoch: Buch- und Zeitungsverleger sorgen
gewöhnlich dafür, dass ihre Druckerzeugnisse der
gültigen Orthografie entsprechen, die Seiten
aufgeschnitten sind, die Bindung stimmt. Warum mutet mir
digitale Literatur, zumal preisgekrönte, fehlerhaften
Code zu? Welches Qualitätsverständnis steht
dahinter? Wenn selbst diejenigen, denen die digitale
Literatur am engsten am Herzen liegt, AutorInnen und
Interessenverbände, unordentliche Arbeiten für
ihre beste halten, wie soll da eine noch zu gewinnende
Leserschaft überzeugt werden?
3.
Debugging
Die oben angeführten
Punkte sind kritisch. Es kann nicht davon ausgegangen
werden, dass eine Surferin, die bereit ist, sich auf einen
literarischen Text einzulassen, auch bereit ist, ihr
Online-Leseverhalten weitgehend umzustellen. Vor allem kann
ein Genre nicht erwarten ernstgenommen zu werden, dessen
"beste" Vertreterin offenbar die Grundlagen ihrer Kunst
nicht beherrscht. Ich sage bewusst Grundlagen, denn keiner
der oben aufgeführten Bugs ist schwer zu beheben
vorausgesetzt, die Programmiererin versteht ihr
Handwerk.
Wir sind es nicht gewohnt,
auf den ersten Seiten eines gedruckten Buches eine
Gebrauchsanweisung zu finden. Der Buchdruck ist ein
"durchsichtiges" Medium, das keinen Fremdkörpereffekt
hervorruft und gewöhnlich keine Reflektion vom Leser
fordert. Mit dem Computer ist das anders. Lesen am
Bildschirm und mit der Tastatur ist neu und die
Existenz und Lesbarkeit des Textes sind ganz entschieden vom
Trägermedium abhängig. Es ist keine Frage der
Höflichkeit, wenn ein Web-Text auf der Startseite
erklärt, welche Hard- und Software-Voraussetzung
erfüllt sein müssen. Statt eines Splash-Screens
mit automatischer Weiterleitung, wie bei Waves,
sollten auf der Startseite die optimalen Browser, der
Bildschirmauflösung und die erforderlichen PlugIns
sowie Download-Möglichkeiten aufgelistet sein. Bei
einer automatischen Weiterleitung sollte zumindest eine
Weiche die Systemgegebenheiten abfragen und gegebenenfalls,
wenn z.B. ein PlugIn fehlt, auf eine Service-Seite verlinkt
werden, die diesen Sachverhalt erklärt und
Lösungen vorschlägt.
Für die Fenster sollte
eine feste Größe gewählt werden das
hat den Effekt, grafische Defekte wie unkontrollierbares
Tiling des Hintergrundbildes nur dann zuzulassen, wenn sie
gewollt sind und Bedeutung tragen. Auch von Frames ist
abzuraten und wenn sie denn nun sein müssen,
sollte man auch auf die Border-Tags achten. Waves
nutzt Frames, um den Content austauschen zu können,
ohne jedesmal die Navigation und die durchaus nicht kleinen
Hintergrundgrafiken nachladen zu müssen. Dies
verursacht, genau wie der Verzicht auf eine feste
Seitengröße, häßliche, störende
Scrollbars. Abhilfe schafft PHP. Und wenn der Inhalt nicht
in bildschirmoptimierte Abschnitte unterteilt werden kann
oder soll, schafft ein wenig JavaScript Scrollfunktionen,
die nicht aussehen wie meine erste Homepage anno
1997.
Im Gegensatz zu reinen
Informations- oder Transaktionsseiten kann es sich eine
Webfiction durchaus leisten, schon für die
Hauptnavigation auf Flash zu setzen auch eine
alternative No-Flash-Seite macht für einen Text, der
zum Teil aus interaktiven Bildern besteht, wenig Sinn (auch
wenn man im vorliegenden Fall über die ästhetische
Qualität dieser Bilder und den Beitrag, den sie zum
Text leisten, durchaus streiten kann). Flash wäre vor
allem in Bezug auf die Sound-Problematik die bessere Wahl
gewesen: Mit Hilfe eines 1-Pixel-Flash-Films, transparent
oder in der Farbe des Hintergrunds, kann Sound in einer
Website einfach vorgeladen und abgespielt werden.
Letztendlich, warum nicht die gesamte Site in Flash
programmieren? So könnte man auf einen Schlag die
ärgerlichen Probleme mit Hintergründen, Sounds und
Ladezeiten lösen.
4. Die
(hyper)literarische Tradition
Bleibt noch das Kriterium
der (hyper-)literarischen Qualität. Immerhin
begründet
Larry McCaffery, Haupt-Juror der ELO-Awards für den
Bereich "fiction", seine Entscheidung vor allem inhaltlich
und ästhetisch:
"I was consciously
seeking out fiction that somehow managed to grab my
attention and kept it, that amazed or amused or
bewildered or disturbed me, and above all that moved
me in some way. ... I found myself hooked on Waves
from the moment I first logged on and watched
[the] gorgeous graphic interface
[
]."
Waves ist und
das macht McCaffery in seiner Laudatio auch deutlich
eine assoziative Hyperfiction. Eine hypertextuelle Struktur
für einen assoziativen Text zu verwenden ist aber weder
innovativ (weil eben naheliegend) noch besonders neu - auch
wenn ein assoziativer Text sich dem Anfänger vielleicht
leichter erschließt als ein Textgenerator oder ein
adaptiver, gar "robotischer" Hypertext. An dieser Stelle mag
Waves zumindest dem Anspruch gerecht werden, mithilfe
einer Preisverleihung Publikumsinteresse zu erzeugen und
neuen Lesern dann mit einem zugänglichen Text
entgegenzukommen. Die Tradition der "electronic fiction"
wird hier jedoch höchstens in der imitatio
veteris berücksichtigt.
Leider fällt auch das
Sujet durch: Lesbische "Confessions", Berichte einer
Selbstfindung (oder zumindest Selbstsuche) mit
"Consciousness Raising"-Effekten hatten ihre Hochzeit in der
ersten Hälfte der 1990er Jahre, in der feministischen
Literatur haben derartige Texte eine noch längere
Tradtion. Darüber hinaus erinnert Waves (nicht
nur in der Episode mit dem Schuhverkäufer) zu sehr an
Alice Munros "Lives of Girls and Women" die
Übertragung von einem kanadischen auf ein lesbisches
Leben bringt keinen Innovationsschub. Nun ist Hypertext
ausgesprochen geeignet, die Spannung zwischen marginaler und
Dominanzkultur nicht nur zu thematisieren sondern auch
strukturell zu spiegeln, eine Spannung, die typisch ist
für fiktionale und reale Biografien junger Lesben im
ausgehenden 20. Jahrhundert. Auch der Zwang zu
einsträngigen Identitäten und
Lebensentwürfen, die ein Coming Out bis in die
späten 90er Jahre mit sich brachte und zum Teil immer
noch bringt und die daraus entstehende Konflikte,
ließen sich in Hypertext fassen. Waves ist sich
dieser Möglichkeiten offenbar nicht bewusst, kennt auch
die VorgängerInnen, gar die Tradition homoerotischer
und vor allem lesbischer (Sub)Texte in Hyperfiction, von
Victory Garden über Patchwork Girl bis
Desert Mauve nicht.
5. Vom Werk zum
Team-Work
Caitlin Fishers These
Waves of Girls scheint das alte Vorurteil zu
bestätigen, dass online nur veröffentlicht, wer
keinen Print- oder Digital-Verleger gefunden hat. Gerade im
Zusammenhang mit dem ELO Award und der Botschafterfunktion,
die einem preisgekürten Text zukommt, ist das mehr als
schade. Wenn das alles ist, was wir zu bieten haben, wird
digitale Literatur auf lange Sicht nicht aus ihrem
Nischendasein erlöst werden es ist sogar
anzunehmen, dass mit intelligenten Computerspielen, einem
Genre das gerade mit seiner Zielgruppe erwachsen wird, die
Entwicklung der digitalen Literatur an dem, was wir zur Zeit
noch darunter verstehen, vorbeigehen wird. Anders als
Hyperfictions haben Computerspiele nämlich ein Publikum
und damit einen Markt. Der finanzielle / kommerzielle
Aspekt des Marktes ist dabei nicht zu unterschätzen.
Wenn es um digitale Texte geht, stellt sich nicht nur die
Frage, ob eine Autorin vom Schreiben leben kann. Das
nötige Equipment zur Erstellung gerade multimedialer
Texte ist teuer und schnell veraltet. Hier müssen Wege
gefunden werden, digitale Kunst auf dem technischen Stand
kommerzieller digitaler Produkte möglich zu
machen.
Digitale Literatur kann es
sich nicht leisten, aktuelle Standards des Web- und
CD-ROM-Designs zu ignorieren allein um die vier bis
fünf unterschiedlichen gängigen Plattformen zu
bedienen, bedarf es einiger Erfahrung. Wie in der bildenden
Kunst die Entscheidung für ein Material sollte in der
digitalen Welt die Entscheidung für eine Technologie
immer eine bewusste Entscheidung sein und sie hat
weitaus größere Konsequenzen als eine Vorliebe
für Bleistifte, Tintenfüller oder
qwerty-Tastaturen. Breitband, minimales Design, Retro-Look
es gibt unzählige, gleichwertige Design- und
Technologieentscheidungen, aber auch ein HTML 2.0 Code muss
fehlerfrei sein, jedes JPG in einem Online-Text
weboptimiert. Anders als Schreiben, Malerei oder Bildhauerei
fordert ein Multimedia-Projekt Meisterschaft in
unterschiedlichen, nämlich allen beteiligten
Disziplinen gleichzeitig: Text, Bild, Ton und
Programmierung. Wer sich für das digitale Medium
entscheidet, muss sich dieser Herausforderung
stellen.
Kann man nun ein Versagen
gegenüber der Technik einer Autorin wie Caitlin Fisher
anlasten, die mit Print-Vorbildern aufwuchs und sich dem
Computer als aufregendem neuen Environment zuwendet? Die
Zeit der handgestrickten Webseiten ist vorbei, moderne,
kommerzielle Websites werden heute von fünf und mehr
-köpfigen Spezialisten-Teams gebaut, nicht selten in
monatelanger Arbeit. Einzelne Autorinnen können den so
aufgestellten Standards allein nicht mehr gerecht werden
und das bedeutet, unserem 200 Jahre alten Konzept vom
einsam schöpferischen Genie Lebewohl zu
sagen.
Über das Verschwinden
des Autors als Autoritätsperson im digitalen Text und
über "kollaboratives Schreiben" zu reden, wie es die
frühe Hypertext-Theorie in oft euphorischer Weise tat,
ist aus der Mode gekommen. Kryptische,
schwerzugängliche Hyperfictions haben die Position des
Autors gegenüber dem Leser eher bestärkt als
zurückgenommen und die einige Jahre lang florierenden
Online-Mitschreib-Projekte werden gemeinhin als gescheitert
angesehen. Wir wollen Texte von Autorinnen lesen (und Bilder
von Malerinnen betrachten), die wissen, was sie tun und Zeit
und Erfahrung in ihre Werke stecken. Ob das Ergebnis ihrer
Arbeit uns geschlossen und ex cathedra gegenübertritt
oder die Künstlerin ihr Werk öffnet und ein von
Pluralität und Diversity geprägtes Weltbild
durchscheint, ist eine ganz andere Frage. Und wer
schließlich vom Schreiben leben will, kann auf das
noch immer gültige Konzept der Autor- oder
Urheberschaft nicht verzichten.
Trotzdem ist wahrscheinlich,
dass Projekte, an denen mehr als eine Autorin, mehr als ein
Autor beteiligt waren, die unterschiedlichen Kulturen,
Sozialisationen und Überzeugungen, welche die
Beteiligten mitbringen, als Offenheit und Mehrstimmigkeit in
sich tragen. Digitale Literatur, multimediale Kunst, die von
Spezialisten-Teams geschaffen und als solche auch
präsentiert werden, könnten zu dem
vieldiskutierten Ende des tradionellen Verständnisses
von Autorschaft beitragen. Ein Nebeneffekt wäre eine
deutliche Steigerung vor allem der technischen Qualität
digitaler Literatur / Kunst "art with an attitude"
könnte mit den Produkten mithalten, mit denen
mainstreamorientierte Unterhaltungsmultis das Internet und
den Markt fluten. Ein gewisser finanzieller Erfolg ist schon
für die einsame Dichterin an ihrer Reiseschreibmaschine
überlebensnotwendig erst recht im hochpreisigen
Multimedia-Umfeld. Die Sell-Out Frage nach Abhängigkeit
von Sponsoren, Preisgeldern, Verlagsprogrammen muss sich
jede Künstlerin stellen. Und letztlich kann es der vom
Return of Interest getriebenen Multimedia-Branche nur
guttun, wenn ein paar Literary People zu den Global Players
in den Ring steigen
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