Hat man
die Ratlosigkeit, die dieser Vorgang zunächst
auslöst, überstanden, kann man ihn wie folgt
beschreiben: Texte lagern sich ab, wo immer man die Maus
ruhen lässt, machen so die unterliegenden Texte und
sich selbst zunehmend unlesbar. Wenn jede weiße Stelle
des Bildschirms belegt ist, kann man nichts mehr entziffern.
Es handelt sich also um ein Palimpsest, das die
Überschreibung ohne Tilgung des drunterliegenden Textes
durchführt und so das Vorangegangene im Aktuellen
sichtbar hält. Es ist klar, dass so auch das Aktuelle
unzugänglich wird. Eine Parabel auf das Internet, in
dem nur bestehen kann, wer vergisst, was er noch gestern
gelesen hat? Die einleitenden Worte scheinen dazu schon
Auskunft zu geben: "Irregular - Focus - Never - Unfocus - No
Rules - New Focus". So ambivalent das auch gelesen werden
kann, die Rede ist in jedem Fall vom Ja und Nein des
Fokussierens; und von der Regellosigkeit.
Oder man versteht das
tilgungslose Palimpsest als Hinweis auf die begrenzten
Ressourcen an Lesefläche und an Lesezeit. Dem User
obliegt es, mittels sparsamer Mausbewegung und
Klick-Aktivität Text für Text so auf dem
Bildschirm zu plazieren, dass alle lesbar bleiben. Wer die
Texte dann auch noch so organisieren kann, dass ihre
räumliche Ordnung (zum Beispiel von oben links nach
unten rechts) der Ordnung ihres zeitlichen Erscheinens
entspricht, darf sich Spielmeister nennen. Denn handelt es
sich nicht um ein Computerspiel der besonderen Art? Je
geschickter, um so mehr Text. Man könnte sich auch
Schriftmeister nennen lassen, oder eben Meister der
Etikettierung.
Das Stück scheint auf
die Grenzen aufmerksam machen zu wollen, die der Ausbreitung
von Informationen auch in diesem Medium gesetzt sind. Dies
aber ist absurd, denn nirgendwo ist soviel Platz wie im Web.
Es kann nur um den Raum im Leser gehen, auf dessen Grenzen
das Medium trifft. Wer mit schneller Maus und leichtem Klick
frisch drauflos navigiert, weiß schließlich
nicht mehr, was aus welcher Quelle er eigentlich aufgenommen
hat - und vergisst, ohne wirklich gewusst zu haben. Das
geschieht alle Tage, was Bildungspolitikern reichlich zu
denken gibt. Da in Hunzikers Werk die Links nicht wie
gewohnt ersetzen, sondern addieren, wird dieser Umstand der
Überschreibung schließlich in einem unlesbar
gewordenen Text auch SICHTbar.
So liegt eine digitale
Version der konkreten Poesie vor, die ihre Botschaft
intermedial vermittelt: Was der Text aufbringt erfährt
seine Weiterführung und Erklärung als Bild.
Und durch das Bild der überlappenden Texte erhalten
auch deren Stichworte ihren Sinn: "[Image]
Schspferischer IdentitStsverlust [Image]"; "und
Sprachkrise"; "[Image] ohne Vorstellungen". Im
ersten und letzten Falle wird die Intermedialität
selbst zum Thema, und zwar in doppelter Weise. Zum einen -
im ersten Falle - kann man "[Image]" als
textexternen Text auffassen, als Stellvertreter für ein
Image, der darauf verweist, dass in den digitalen Medien
auch das Image auf alphanumerischem Code beruht und somit
eigentlich alles, was digital ist, Text ist. Zum anderen -
im letzen Falle - kann man "Image" als Teil der sprachlichen
Botschaft auffassen, die sich als Kommentar auf die
kognitive Konsequenz der medialen Konstellation liest: Image
ohne Vorstellungen. Diese Vorstellunsglosigkeit ist in
vielerlei Hinsicht Markenzeichen des Internet: Nicht nur,
dass die zunehmende Visualisierung auf der
Bildschirmoberfläche das Textmedium zunehmend der
Schrift beraubt. Die innere Vorstellung ist auch bedroht,
wenn etwa die Intertextualität des Links auf der
Bildschirmoberfläche die Intertexualität der
Assoziationen im Kopf des Rezipienten ersetzt.
Die Ironie liegt freilich
darin, dass Hunziker selbst ein ästhetisches Verfahren
einsetzt, das die kognitive Leistung im Anschaulichen
aufhebt. Die Etikettierung, von der der Titel spricht, wird
zum Image, sie schreibt sich selbst als Bild. Als wollte
sie, worüber sie nicht sprechen kann, malen.
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