1.
KOMBINATORISCHE POESIE
Klickt der Besucher auf die
oberste Schaltfläche der Navigationsleiste, aktiviert
er den Entwurf eines kombinatorischen Gedichts und der
dazugehörenden Animation. Insgesamt existieren acht
verschiedene Animationen, die durch eine Zufallsoperation
ausgewählt werden. Bei den Gedichten handelt es sich um
sogenannte kombinatorische Gedichte. Es ist sinnvoll, kurz
die Kette zu betrachten, deren Glieder an dem Prozess der
Entstehung der kombinatorischen Gedichte beteiligt
sind:
Der Dichter legt die
syntaktische Struktur sowie die semantische Auswahl, also
die Begriffe, auf die durch Zufallsauswahl
zurückgegriffen werden soll, fest. In einem zweiten
Schritt werden die Anweisungen und Forderungen des Dichters
von einem Programmierer umgesetzt. Es ist wichtig
festzuhalten, dass der Dichter über das Wortmaterial
entscheidet, aber auf keinen Fall alle
Kombinationsmöglichkeiten überblicken kann. Somit
werden selbst für den Autoren/Dichter einige Resultate
bzw. neue Mischungen überraschend sein.
Der dritte Arbeitsschritt
wird vom Programm bzw. dem Zufallsgenerator geleistet. Je
nachdem, wie die Verknüpfungen gewählt und wie der
Zufallsgenerator eingestellt ist, wird ein entsprechendes
Gedicht auf dem Bildschirm erscheinen. Dieses Gedicht wird
nun weniger nach sinngemäßen bzw. poetischen, als
vielmehr nach mathematischen Regeln "formuliert". Dem
Geschriebenen Sinn zu geben, dafür wird in einem
vierten Schritt der Leser benötigt, der bereit ist,
beim Leseakt den vorgegebenen Text mit Hilfe seiner Lese-
und Lebenserfahrung mit Sinn zu füllen und
Verknüpfungen herzustellen.
Zur Generierung dieser
Zufallsgedichte werden die digitalen Medien benötigt,
zur Rezeption sind diese nicht mehr notwendig. Das Ergebnis
könnte auch in einem Buch erscheinen.
2. KREATIV
Im Kreativbereich
erhält der Besucher verschiedene Werkzeuge, um selbst
Texte zu bearbeiten, zu ergänzen oder zu erweitern.
Genauer betrachtet bieten sich dem Anwender zwei
Möglichkeiten:
a. Die maquina
entwirft zur Anregung des Lesers einen beliebigen Teil eines
Zufallgedichtes, das auf einer auf dem Bildschirm
vorbereiteten Arbeitsfläche erscheint. Der Besucher hat
nun die Möglichkeit, dieses Gedicht nach seinem
Gutdünken zu bearbeiten, zu kürzen oder zu
erweitern. Dafür stehen ihm vier Werkzeuge zur
Verfügung.
1. Ein
Texteingabefeld, in das er Worte eingeben und mit
Hilfe der Maus per Drag und Drop auf die Arbeitsfläche
ziehen kann.
2. Ein
Zufallswortfeld. Drückt der Besucher auf die
dazugehörende Schaltfläche, erscheint in einem
dafür vorbereiteten markierten Feld ein von der
Maschine zufällig ausgewähltes Wort. Es wird dem
Wortpool der kombinatorischen Dichtung entnommen. Wird es
vom Anwender erwünscht, kann es per Drag/Drop auf die
Arbeitsfläche gezogen werden. Erscheint es unpassend,
kann ein weiteres Mal auf den Button gedrückt werden,
der alte Begriff verschwindet und an seiner Stelle erscheint
ein neues Wort, das je nach Wunsch verwendet werden kann.
Insgesamt können 30 Begriffe aufgerufen
werden.
3. Ein Papierkorb.
Findet der Besucher einen Begriff unpassend, kann er per
Drag/Drop auf einer speziell gekennzeichneten Fläche
abgelegt und damit gelöscht werden.
4. Die Möglichkeit,
"magnetische" Linien zu aktivieren/deaktivieren. Nach
der Aktivierung "schnappen" die Begriffe auf der Höhe
einer Linie ein, bei Deaktivierung können die Worte
frei auf dem Bildschirm angeordnet werden.
Es ist zusätzlich
möglich, die einzelnen Worte, die das von der
maquina entworfene Gedicht konstituieren, auf dem
Bildschirm hin- und herzuziehen, um Wortanordnungen zu
verändern. So ist es jederzeit möglich, das
Gedicht komplett zu überarbeiten.
b. Der Poesieautomat ordnet
im oberen Teil der speziell eingerichteten
Arbeitsfläche in 5 Reihen 20 zufällig
ausgewählte Begriffe an. Mit dieser begrenzten Auswahl
an Wörtern, die ebenso durch drag/drop auf die
Arbeitsfläche gezogen werden können, soll sich der
Besucher inspirieren lassen, ein Gedicht/Text zu verfassen.
Als zusätzliche Hilfsmittel stehen ihm ein
Texteingabefeld, die Linienfunktion sowie ein Papierkorb zur
Verfügung. Mit Hilfe des Texteingabefeldes kann der
Besucher eigene Ideen und Assoziationen verwirklichen. Der
Zufallsgenerator wird in diesem Bereich weggelassen, da die
eigene Produktion des Schreibenden im Mittelpunkt stehen
soll. Eine Besonderheit liegt in der Wortauswahl. Bei dieser
handelt es sich um von den vorhergehenden Lesern eingegebene
Begriffe, die auf dem Server abgespeichert und neu geladen
worden sind. Hinter diesen kollektiven Stichworten zur
Inspiration steht eine namenlose Masse an Lesern als
Co-Autoren.
Zur Generierung
benötigen diese Gedichte die digitale Umgebung, vor
allem um die Vernetzungseigenschaften zu nutzen und von den
kollektiven Stichworten zu profitieren. Die Endprodukte
könnten allerdings ebenso wie die Zufallsgedichte als
Printprodukt erscheinen.
3. VISUELL
Klickt der Besucher auf die
dritte Schaltfläche der Navigation, fährt von
links nach rechts eine willkürlich erscheinende
Kombination von Begriffen auf die zentrale Bildfläche.
Diese Begriffe sind aus dem Programm der maquina
durch Zufallsoperationen entnommen worden. Bei mehrmaligem
Klicken auf den Button lässt sich feststellen, dass
sich die einzelnen Wortkombinationen bezüglich Farbe,
Größe, Drehung, Lesbarkeit, Anzahl und
Transparenz stark unterscheiden können. Diese
Eigenschaften hängen von Zufallsoperationen ab. Es
werden jeweils 16 Begriffe ausgewählt, auch deren
Positionierung hängt von Zufallswerten ab, einzelne
Worte können außerhalb des sichtbaren Bereichs
liegen. Somit sind nicht alle Begriffe auf der dafür
vorgesehenen Fläche zu lesen, auch deshalb, da je nach
Transparenz manche Worte fast nicht mehr sichtbar sind, der
Text also unvollständig erscheint. Es handelt sich hier
um eine Annäherung an visuelle Poesie - Bedeutung
erhält der Text in besonderem Maße über
seine graphische bzw. gestalterische Präsentation. Der
Leser kann hier nicht in den Text eingreifen oder ihn
verändern. Dafür erhält er - im Gegensatz zum
nachfolgenden Schwarmgedicht - die Zeit, die statisch auf
dem Bildschirm liegenden Begriffe zu lesen, Kombinationen
und Assoziationen herzustellen. Die Ambiguität
unvollständig lesbarer Begriffe soll eine
verstärkte Aktivität des Lesers provozieren bei
dem Versuch, dem Text Sinn zu geben.
4. SCHWARMGEDICHTE -
SCHWÄRMEREI
Unter der Rubrik Schwarm
werden insgesamt vier animierte Wortgedichtarten zur
Lektüre angeboten. Gemeinsam ist allen Begriffen, dass
sie ständig ihre Position im Verhältnis
zueinander, und damit auch ihren Kontext, ändern. Es
können absolute Nonsense-Texte entstehen, die, in
linearer Form angeordnet, keinerlei Interesse bei den Lesern
hervorrufen würden - aufgrund syntaktischer wie
semantischer Unstimmigkeiten. Werden diese Begriffe mit
kinetischer Energie versehen, verändern sie permanent
ihre Positionen untereinander und ermöglichen andere
Lesarten. Aufgrund der Animierung der Begriffe erwartet der
Leser nicht mehr die strenge Einhaltung grammatikalischer
Regeln, sondern füllt die "leeren" Stellen in seinem
Sinne auf.
Die Dynamik der Gedichte
infolge ihrer Bewegung soll den Leser anregen, immer wieder
neue Sinnstiftungsversuche zu unternehmen. Die
Flüchtigkeit dieser Gedichte kann sowohl den
spielerischen Aspekt beim Lesen unterstützen als auch
nach einiger Zeit zu Frustration und
Ermüdungserscheinungen führen. Die Dynamik der
Gedichte führt weiterhin dazu, dass der Leser kreativ
individuelle Strategien entwickeln muss, um sich mit dieser
Art von Gedichten auseinandersetzen zu können, z.B.
Veränderung des Lesetempos, überspringendes Lesen.
Sofern sich der Leser mit dieser Art Gedicht
beschäftigt, wird er ein sehr hohes Maß an
Aufmerksamkeit und Konzentration darauf verwenden
müssen, was zum Eintauchen in den Text bzw. Leseprozess
führen kann. Der Leseakt ist geprägt von der
Vergänglichkeit der Gedichte. Der Sinn, der beim Lesen
kurzfristig den Wortkombinationen auf dem Bildschirm gegeben
wird, verflüchtigt sich so schnell wie er gekommen war
- und geht unwiederbringlich verloren, es sei denn der
Rezipient verfügt über ein ausgeprägt gutes
Gedächtnis. Dies steht ganz im Gegensatz zur
Printliteratur, die eine wiederholte Lektüre
ermöglicht.
Folgende Varianten von
Schwarmgedichten bietet die maquina
poetica:
a. Die Besucher können
eigene Begriffe und Texte eingeben, die sich nach Mausklick
auf eine Schaltfläche in Bewegung setzen, ihre Position
zueinander verändern und aus dem vorhandenen
Wortmaterial beim Lesen eventuell einen neuen
Sinnzusammenhang konstituieren.
b. Wachstumsgedicht: Nach
dem ersten Begriff erscheinen in kurzen Abständen
weitere Worte auf dem Bildschirm, bis sich insgesamt 31
Begriffe angesammelt haben. Ab einer bestimmten Anzahl an
Begriffen wird der Leser feststellen, dass es nicht mehr
möglich ist, zwischen allen Worten Verbindungen
herzustellen bzw. alle wahrzunehmen. Einzelne Begriffe
können gelesen und miteinander in Verbindung gebracht
werden, jedoch nicht ihre Gesamtheit. Die
Wahrscheinlichkeit, dass der Leser (frustriert?) die
detaillierte Lektüre einstellt, ist relativ groß;
er wird seinen Fokus voraussichtlich auf das visuelle
Bewegungsspiel richten und versuchen, dieses durch
Mausbewegungen zu beeinflussen. Es findet in diesem Bereich
eine Wahrnehmungsverschiebung vom Text zum Bild
statt.
c. Vier animierte Begriffe
erscheinen nacheinander im fünf Sekundentakt auf dem
Bildschirm. Abwechselnd wird nach Erscheinen aller vier
Begriffe zyklisch einer nach dem anderen ausgetauscht, so
dass ständig neue Begriffe auf dem Bildschirm
erscheinen. Die Wortauswahl findet über einen
Zufallsgenerator statt, der aus dem von früheren
Besuchern eingegebenen Wortpool schöpft. Der Leser ist
gezwungen, dem von der Maschine vorgegebenen Lesetempo zu
folgen.
d. Diese Variante ist
ähnlich aufgebaut wie die vorhergehende, nur kann der
Leser das Lesetempo hier selbst bestimmen. Die Begriffe
können nur dann ausgetauscht werden, wenn der Leser
selbst aktiv wird und mit der Maus die animierten Begriffe
berührt. Der individuelle Leser entscheidet somit
über sein Lesetempo. Bleibt der Leser länger auf
einem Wortfeld, werden während dieser Zeit ständig
neue Begriffe eingeblendet. Der Rezipient erhält hier
nicht die Freiheit, selbst zu entscheiden, welcher Begriff
auf dem Bildschirm erscheinen soll, aber er kann durch
Ausschlussverfahren den Begriff festlegen, welcher ersetzt
werden soll: Berührt er diesen, wird er
ersetzt.
Die Schwarmgedichte sind
bezüglich Produktion und Rezeption unbedingt auf das
digitale Medium angewiesen.
5.
WEITERES
a. Wird der Poesieautomat
aktiviert, wird jeweils eines von 13 Hintergrundfotos per
Zufallsoperation ausgewählt.
b. Oberhalb des Fotos
befindet sich eine Grafik, die ebenfalls per
Zufallsoperation gestaltet wurde. Bei jedem Neustart oder
Aktualisierung' im Browser werden diese Linien der
Grafik neu angeordnet.
c. Sämtliche
Gedichtarten können in Form einer E-Card per Email
verschickt werden. Insgesamt bleiben alle Gedichte für
ca. vier Wochen auf dem Server abgespeichert.
Anschließend werden Sie gelöscht und können
in keiner Weise wiederhergestellt werden.
d. Es soll noch eine Version
in Englisch und Spanisch erarbeitet werden.
e. Derzeit bin ich u.a. mit
der Erstellung einer CD maquina-poetica
beschäftigt. Anstatt dem Verschicken per Email soll
hier eine Druck-Funktion aktiviert werden. Erweitert werden
soll die maquina-poetica durch eine
Zeichenfunktion.
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Über
Ideen, Inspirationen, Beiträge und konstruktive Kritik
freue ich mich immer. Bitte senden an: info@2sign4.de
posted: 12. Februar
2003
dichtung-digital