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In
TV
Plots von 2000
nehmen sich Monica Studer und Christoph v. D. Berg das
Fernsehen vor, indem sie unaufhörlich "Vorschau-Texte
aus 'TV täglich'" auf verschwommene Bilder projizieren.
Plots wie: "Als ein erfolgreicher Politiker sich auf ein
leidenschaftliches Verhältnis mit der Verlobten seines
Sohnes einlässt, stürzt er sich und seine Familie
in eine Katastrophe." Oder: "Zwei Soldaten sind angeklagt,
einen Knaben in einem Bestrafungsritual getötet zu
haben. Es zeigt sich, dass der Mord von oberster Stelle
angeordnet war." Oder: "Erst nach dem Tod eines angeblich
ehrwürdigen und beliebten Bürgermeisters werden
dessen Grausamkeiten im Umgang mit den Menschen publik."
Oder: "Im Hafen von P. südlich von A. explodiert ein
Schiff voller Kokain. Im Wasser schwimmen 27 Tote."
Das sind Texte, wie man sie
täglich zu Tausenden finden kann, als Eyecatcher
für hilflose, bereitwillige Fernsehkonsumenten. Texte,
die so tun, als käme in ihnen die ganze Dramatik
menschlichen Daseins zu sich selbst. Es geht um Liebe, Mord
und Verrat, um Heuchelei und schreckliche
Unglücksfälle. Existentielle Themen, uralte
Konflikte. Die unbarmherzige Unaufhörlichkeit, mit der
diese Texte hier immer wieder auf die verschwommenen Bilder
gesetzt werden, zieht die mediale Situation ins Zentrum.
Dass die Bilder keinen Zusammenhang zu den Texten ergeben,
ist Hinweis auf deren Austauschbarkeit. Man durchschaut den
Einsatz der Reizwörter, wird ihnen gegenüber
zunehmend unempfindlich und hat eigentlich auf keinen
einzigen dieser Plots Lust. Der Gebildetere unter den
Verächtern wird sich an Christa Wolfs Erklärung
erinnern, Romane schreiben zu wollen, deren Handlung man
nicht erzählen kann. Der Selbstkritischere unter der
Gebildeteren mag sich dann fragen, ob wir nicht generell
dazu neigen, Filme auf deren Handlung zu reduzieren, auf die
Story, auf die Aktion.
TV Plots führt
uns die Banalität dieser Filme vor Augen, indem es sie
erbarmungslos auf einen durchschaubaren und voraussagbaren
Satz der Beschreibung reduziert. Damit besteht zugleich kein
Zweifel über die Erwartungen, die hier beim Publikum
vorausgesetzt werden. Die Hausaufgabe für Nachdenker:
Wie läse sich eigentlich die Beschreibung besserer
Werke, die nicht im Verdacht verlogene Dramatik stehen,
Sophokles' Antigone etwa oder Dostojewskis
Raskolnikow. Raskolnikow als Mörder- und
Liebesgeschichte oder als Konflikt menschenverachtender
Menschheitsbefreiungsideen? Man ahnt, dass die Beschreibung
den Gegenstand macht (so wie der Titel das Bild), je nach
Zielpublikum - und das, so die Kulturkritiker, unterwirft
sich schließlich dem Bild von ihm.
Morgen
mehr von Esther
Hunziker und F.X.Zbinden aus dem Jahre 2001 braucht einen
klaren Kopf. Dieses Werk ist ein Versprechen, das sich schon
auf den ersten Mauskontakt hin erfüllt: Im leeren
Imagerahmen erscheint das Schwarz-Weiß-Bild einer Frau
in einer Quizsituation. Offenbar die 50er Jahre, die
aktuelle Summe beträgt $ 6 300; wie bescheiden, denkt
man im Zeitalter von Who want's to be a Millionaire.
Der Klick erbringt Text aus dem Off: "Es reicht nicht", sagt
eine Männerstimme, dann bauen sich vier Imagerahmen
auf, werden nacheinander mit Farbe gefüllt (Ankunft im
Farbfernsehzeitalter), man hört den Einwahlton eines
Modems. Ein par force Ritt durch die Mediengeschichte, noch
ehe es richtig losgeht. Und wie man bald sieht, geht es auch
gar nicht los, jedenfalls nicht nach vorn. Das Internet
entpuppt sich als andere Form des Fernsehens, das Globale
Dorf bleibt unidirektional.
Der Klick auf die
Imagekästen lässt Ausschnitte aus Fernsehsendungen
(Technik, Tierwelt, Straßenverkehr, politisches
Tagesgeschehen ...) erscheinen und aktiviert Audiofiles. Die
Bilder sind vorrangig Schwarz-Weiß, der Sound steht
zumeist in keiner erkennbaren Verbindung zu ihnen; man merkt
bald, dass die gleichen Bilder mitunter mit anderem Ton
erscheinen. Dies geschieht jedoch nicht infolge eines
zugrundeliegenden Zufallsgenerators, sondern aus klarem
Kalkül der Autoren. Nach einer gewissen Klick-Zeit
ändern sich schließlich die Bilder in den vier
Kästen automatisch und mit sehr kurzen
Schnittsequenzen, wozu mehrere Sound-Dateien völlig
durcheinanderlaufen. Die Schlagwörter der Sound-Montage
sind unter anderem: "Aber es ist ein guter Weg", "sind Opfer
gebracht worden", "die junge Generation zu Politik", "die
verdrängte nationalsozialistische Vergangenheit",
"blüternrein und seidentrocken",
"Baader-Meinhof-Prozess", dazu gibt es Bombendetonationen
und unverständliche Artikulationen.
Die medienkritische Absicht
der Vorführung liegt auf der Hand, und die unter den
Audiofiles auftauchende Abmoderation von Karl Eduard von
Schnitzlers legendärem "Schwarzen Kanal" erinnert auch
gleich an den doppelten Boden solcher Kritik. Morgen
mehr steht mit seinen gespiegelten, ausgegliederten, neu
kontextualisierten Zitaten ganz in der Tradition
metareflexiver Medienkunst. Und wenn man hier zunehmend eine
willkürliche Neuzuordnung der vorhandenen Ton- und
Bildelemente (die immerhin zumeist als dokumentarische
Medien angesehen werden) beobachten kann, deutet dies schon
auf jene Untiefen der Manipulation, die heute mit den
digitalen Medien erreicht sind.
Zum Abschluss der
Zeigefinger aus dem Off. Der Klick auf den Bilderreigen
vertreibt sie alle. Plötzlich sind die Kästen
leer, Stille. Nach 5 Sekunden eine glücksstrotzende
Frauenstimme wie aus der Werbung: "komm, hier läuft ja
alles von alleine. Vollllll auutomatisch!!" Der nächste
Klick (und wer die 5 Sekunden nicht wartet, kommt gleich
dahin) lässt auch die Rahmen verschwinden, erneut ist
eine Männerstimme (Walter Jens?) zu hören: "Es
bleibt viel zu tun, um Texte mit Leben zu erfüllen".
Ein Abschlusssatz, in dem sich die Mahnung des Anfangs noch
einmal spiegelt und der, kulturkritisch genug, zugleich
offenlässt, ob diese Arbeit am Text morgen mehr
gelingen wird oder weniger.
Quake
von Monica Studer und Christoph v.d. Berg aus dem Jahre 1998
ist nach dieser komplexen Installation die reinste Erholung.
Es stellt die einfache Umsetzung einer einfachen Idee dar:
Die Beschreibung eines Erdbebens in seiner Intensität
bei gleichzeitiger Vorführung der Erschütterung
durch ein kleines JavaScript, das den Inhalt des Fensters
mit zunehmender Geschwindigkeit hin- und herschiebt. Ist bei
Stufe I ("Not felt except by a very few under especially
favorable circumstances") die Bewegung noch recht zart,
wackelt bei Stufe V ("Felt by nearly everyone; many
awakened. Some dishes, windows, etc. broken; a few instances
of cracked plaster; unstable objects overturned. Disturbance
of trees, poles, and other tall objects sometimes noticed.
Pendulum clocks may stop") der Text schon deutlich und bei
Endstufe XII - "Damage total. Waves seen on ground surfaces.
Lines of sight and level distorted. Objects thrown upward
into the air" - kann man ihn nur noch unter großer
Anstrengung entziffern. Man hat die Analysefähigkeit
und Deutungsmacht verloren, wie bei einem richtigen
Erdbeben. Die Pointe des Projekts: In der Source steht der
Text still zur Lektüre bereit - ein Fluchtpunkt, das
wird einem nach dem Abtauchen in den Quellcode nur um so
klarer, der in der Realität ebesowenig zur
Verfügung steht wie die Möglichkeit, über den
Back-Button auf eine erträglichere Erdbeebenstufe
zurückzugehen oder, wenn alles vorbei ist, "Have
another quake" zu klicken.
Die Idee dieser kinetischen
Variante konkreter Poesie ist simpel, aber originell: Quake
lebt und bebt durch ein kleines JavaScript und ist insofern
Software-Kunst im Sinne von Lev Manovich (vgl. Manovichs
Essay Generation
Flash).
Demgegenüber unterstrichen die TV Plots der
gleichen Autoren Manovichs zugespitzte Beschreibung des
Media-Artist als "a parasite who leaves at the expense of
the commercial media": man borgt sich das Material bei den
kommerziellen Medien und entlarvt es durch eine
entsprechende De- und Rekontextualisierung. Ist
TV-Plots auch 'Kunst aus zweiter Hand', so ist es
doch trotzdem oder gerade deswegen medienkritisch. Der
Software-Künstler hingegen "does not waste its energy
on media critique", wie Manovich weiter festhält; und
Quake, in dessem Mittelpunkt weniger das Erdbeben als
dessen technische Simulation durch entsprechenden Code
steht, wäre durchaus ein Beispiel dafür.
Ganz im Zeichen des
technischen Effekts steht auch Der
positive Herzinfarkt
von Hansjörg Marti, eine anschauliche Behauptung
"Über das Liebesleben der Nullen" aus dem Jahre 1997.
"Sollten auch Sie zu den Individuen gehören, die von
sich selbst behaupten, null (0) Glück in der Liebe,
oder sogar null (0) Begabung für die Liebe zu haben,
klicken Sie oben auf Glück und Begabung. // Dass auch
für Menschen mit einer solchen Nullwertliebesbegabung
durchaus Chancen auf das Erleben der Liebe bestehen, zeigen
wir Ihnen nun anhand der grafischen Begegnung dieser zwei
Nullen." Am Ende des Textes angelangt, sieht man das Wort
"Glück" längst aufleuchten, bereit für den
Klick. Dem folgt das grafische Spiel zweier großer
Nullen, die sich so lange zueinander neigen, bis ein Herz
daraus wird. Der Neigung folgen andere, woraus ein
vierblättriges Herzkleeglücksblatt entsteht und
schließlich eine Überlappung der Herzen, das
"Larme des amoureux" (Träne der Verliebten), auf
Deutsch: "Zone erhöhten Infarktrisikos", womit sich der
Widerspruch des Titels löst. Die Schlussfolgerung -
"Wir erkennen, dass nur lieben kann, wer sich selbst liebt"
- ist einem zwar nicht neu, kommt hier aber unvermittel
genug, um zu überraschen. Was soll es bedeuten? Wo ist
der Zusammenhang? Egal. Im Grunde geht es um das
typografische Bewegungsspiel, um das Experimentieren mit
Macromedia Director im frühen Jahr 1997 und um die
Pointe: "Du liebe Null du, ich hab dich gern." Dieserart
erheitert sollte man der zweiminütigen Animation nicht
verdrossen Konsistenz und Botschaft abtrotzen, sondern sich
zufrieden geben, mit dem, was sie sein will: Unsinnspoesie
im digitalen Gewand.
Das dritte in dieser
Sammlung präsentierte Werk von Monica Studer und
Christoph v.d. Berg, mixed
double (1999)
verbindet die Freude am Programmieren dann wieder mit einem
medienkritischen Impuls. Hier laufen in einem linken und in
einem rechten Feld Wörter so schnell durch, dass man
sie nicht erkennen kann. Durch einen Klick auf den
Search-Link lassen sich die Wörter anhalten, aber noch
nicht lesen, denn der Klick öffnet zugleich ein neues
Fenster, in dem altavista.com die Suchergebnisse zu
den zwei gestoppten Begriffen anzeigt. Damit hat man
zweifach blind das Netz genutzt: Man hat Wörter in die
Suchmaschine eingegeben, ohne es zu wollen, und man hat
Wörter eingegeben, die einem unbekannt blieben, bis es
zu spät war. Plötzlich steht man da mit 100
unbestellten Links zu Wortdichotomien wir >Trust< und
>Dullness< oder >Hate< und >Joy< oder
>Happiness< und >Jealousy< oder
>Amusement< und >Disappointment<. Soll man
klicken und lesen? Oder soll man zum Werk zurückkehren,
um sich die Sucherergebnisse für neue Wörter
anzeigen zu lassen? Aber wozu? Um die Funktionsweise des
Werkes zu prüfen? Und dann?!
Das Werk gibt einem
Antworten auf Fragen, die man gar nicht gestellt hat. Die
Antworten wiederum geben nicht die Autoren, sondern das Netz
selbst, die Autoren jener Websites, die altavista.com
auflistet. Und ist dies nicht genau das, was Lektüre im
Netz ausmacht: Das eher zufallsgesteuerte Verfolgen von
Links, um niemals dort anzukommen, wohin man ohnehin nicht
wollte? Mixed double ist clevere Software-Anwendung und
Problematisierung des Mediums zugleich - die
Simplizität der Anordnung spricht, wie bei allen
einfachen Darstellungen komplexer Sachverhalte,
zusätzlich für das Werk.
Felloni
& Buonvicini
von Daniela Keiser (2002) ist weit weniger auf den Eindruck
eines technischen Effekts aus und überhaupt viel
ernsthafter bei der Sache. In 14 Sprachen wird die
Beschagnahmung einer offenbar gefälschten 50 000 Lire
Banknote erzählt, die Keiser Daniela am 31. Juli 1996
in einem Bahnhofsrestaurant in Zahlung gab. In 14 Sprachen
siehet man das Beschlagnahmeprotokoll, das zugleich
vorgelesen wird. Man erfährt nicht, ob die Banknote
wirklich gefälscht ist und wenn ja ob Keiser Daniela
davon wusste oder gar daran mitwirkte. Immerhin, man ist am
Ende gut informiert über die verschiedenen Arten der
verschiedenen nationalen Bürokratien, den
ungeklärten Sachverhalt in Worte zu fassen.
Bemüht schon im Titel
ist Faustian
Bargain von
Martin Grether (1997). Der Teufelspakt ist der
Superinformationshighway, in den jetzt Billionen an Dollar
gepumpt werden, ohne dass der Sinn dieser Investition
feststehe. "What is the problem to which the superhighway
will be the solution?" fragt Grether mit Neil Postmanschem
Zungenschlag und hat auch gleich die Antwort: "technologies
do not always increase people's options". Der Beleg ("we now
have available only 60 television channels with superhighway
we will have access to 500 hundreds maybe even 100 100")
trifft mit seiner Unterschlagung der Bidirektionalität
des Internet zwar nicht ganz die Sache, ist aber bildlich
recht schön umgesetzt, wenn die Wörter dieser
Aussage sich bis zur Unlesbarkeit
übereinanderschreiben, wie ein krankes Palimpsest oder
eben eine Menge TV-Kanäle, die einem unentrinnbar im
Kopf umherschwirren. Das Verwirrende an diesem Essay ist das
Design, in das es sich hüllt. Unterlegt mit Cool-Jazz
spricht eine telefonverzerrte Männerstimme den Text,
der zugleich auf dem Bildschirm als typographisches Spiel
erscheint. Das wirkt recht hip und hinterlässt den
Eindruck, dass Martin Grether zumindest den
ästhetischen Reiz neuer Technologien zu schätzen
weiß. Und genau das ist das Eigentor des Faustian
Bargain als Essay: die Technikkritik ist selbst in die
Technik verliebt und nutzt die möglichen Effekte als
Ausweitung ihrer selbst ins Faszinosum des Apparats - ganz
wie es McLuhan in Understanding Media beschrieb
(The Gadget Lover: Narcissus as Narcosis). Leider
heisst dies nicht, dass Faustian Bargain dafür als
Kunstwerk punkten würde; dazu fehlt es an Ironie, dem
Text gegenüber und gegenüber der Art und Weise,
wie dieser sich präsentiert.
Texte, Scripts &
Codes ist die Sammlung auf xcult.ch
überschrieben, und das ist ein gut gewählter
Titel. Er lenkt das Augenmerk auf Script und Code als Text,
der nicht auf der Bildschirmoberfläche zu sehen ist,
sondern unter dieser Wirkungen auslöst, die sich
oberhalb kundtun: als Bewegung, als Sound, als
typographisches Spiel. Die Sprach- und Textarbeit, die der
Untertitel annonciert, zielt nicht auf Buchstaben allein;
Sprache der digitalen Medien ist Wort und Bild, Link und
Bewegung, Farbe und Ton und nicht zuletzt die Interaktion
mit dem Publikum. Das führt freilich zur Frage, wie
solcher 'Text' zu lesen ist. Was bedeutet die Realisierung
eines Scripts über die Faszination des technischen
Effekts hinaus? Wenn der Text über das Erdbeben bebt,
lässt sich noch leicht Kohärenz von Form und
Inhalt erkennen. Wenn der technologiekritische Text sich mit
technischen Effekten schmückt, lädt zumindest der
interne Widerspruch zur Deutung ein. Was aber, wenn der
Effekt sich ganz von der Absicht einer Botschaft löst?
Wenn es nur noch um das Spiel mit den Möglichkeiten der
Programmierung geht? Wie steht es dann mit dem
Selbstverständnis digitaler Sprach- und
Textarbeiten?
Der Kurator einer anderen
Ausstellung digitaler Kunst - Klaus Nicolai vom
CYNETart-Festival in Dresden - hat bezüglich der
Funktion digitaler Kunst klare Forderungen: "Die Anwendung
von neuen technischen Möglichkeiten ist insofern
künstlerisch reizvoll, als damit eine modifizierte
künstlerische Botschaft übertragen wird. Wenn das
nicht der Fall ist, kann es zwar eine interessante
experimentell Form sein, mit Software oder neuen
Netzstrukturen umzugehen, aber ob damit auch das Kriterium
der Kunst erfüllt ist, bleibt fragwürdig. Die
künstlerische Botschaft zielt letztlich immer noch auf
existentielle menschliche Fragestellungen, die heutzutage
nicht mehr aus globalen und politischen Dingen wegzudenken
sind." (Interview in: Manfred Faßler, Ursula
Hentschläger, Zelko Wiener: Webfictions. Zerstreute
Anwesenheiten in elektronischen Netzen, Springer Verlag
Wien, New York 2003, S. 211) Damit ist auch die Kunst in
bzw. mit den digitalen Medien in die gesellschaftliche
Pflicht genommen; und die hier versammelten Werke
können zum Großteil von sich sagen, dass sie ihr
Soll erbracht haben. Gleichwohl ist der Konflikt damit
keineswegs gelöst, und zwar in zweifacher Hinsicht.
Zum einen stellen solche
engagierten, medien- und gesellschaftskritischen Werke wie
die hier versammelten im Zeitalter der Generation
Flash vielleicht schon eher die Ausnahme dar. Man findet
zunehmend Werke, die viel mehr Augenmerk auf komplexe
Programmierung, cooles Design und hypnotische Effekte legen
und mit sicherem Kalkül die Leichtigkeit des Staunens
an die Stelle begeisterunsgloser Erkenntnis der guten
Absicht setzen (Squid Soups Untitled)
wäre ein Beispiel dafür ( Besprechung
in dichtung-digital.org 5/2001). Zum anderen gibt es mit der
formalen Ästhetik Anfang des 20. Jahrhunderts
Vorläufer in der Kunstgeschichte, die in ählicher
Weise die Form von der Bürde des Inhalts zu befreien
suchten, das visuelle Zeichen von seiner
repräsentativen Rolle, Bedeutung für etwas anderes
als sich selbst zu tragen. Steht uns Anfang des 21.
Jahrhunderts eine Rückkehr zur formalen Ästhetik
bevor? L'art pour l'art digital? Ist der autonome, allein
auf sich verweisende technische Effekt das
zeitgenössische Äquivalent zum einstigen Prinzip
der reinen Sichtbarkeit seiner selbst? Geht es, wie damals
um das Image an sich, heute um den Code an sich?
Dies sind Fragen, die sich
angesichts der vorliegenden Sammlung nicht aufdrängen
und die gerade deswegen zu stellen sind. Denn der sensuelle
Spartanismus der hier versammelten Beispiele ist nichts,
warauf man bauen kann. Es gibt viele Möglichkeiten,
Texte mit Leben zu erfüllen; es reicht vielleicht
nicht, die künstlerische Botschaft allein nach den
Maßstäben einer bedeutungsversessen Ästhetik
zu messen.
posted: 10. Februar
2003
dichtung-digital
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