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zwischen cut&paste und plug&pay ein Interview mit Heiko Idensen - 1 - 2 - Das Internet bringt nicht
nur das rasante Wachstum von Email-Anschlüssen,
Websites und digitaler Werbung mit sich, es führt auch
zu neuartigen künstlerischen Ausdrucksweisen und
Kulturformen, vor allem aber zu Vernetzung: von Gedanken,
Texten, Personen, Projekten. Der erreichte Stand ist
ziemlich fortgeschritten, die 'wilden Jahre' scheinen so gut
vorbei zu sein wie jene nach dem Mauerfall, es sind Prozesse
der Professionalisierung und Kommerzialisierung zu
beobachten. Zugleich befinden wir uns noch ganz am Anfang:
der Großteil der Bevölkerung hat noch nie einen
Link geklickt, die Universitäten tun sich schwer und
lassen kleine Grüppchen mit ihren Projekten 'in
Frieden'. Heiko
Idensen ist Teil
einer solchen Gruppe und beobachtet seit einigen Jahren sehr
genau die Netzwerk-Aktivitäten. Mit seiner
Imaginären
Bibliothek,
einem poetischen, hypertextuell strukturierten
Text-Bild-Archiv zur Buchkultur, ist er selbst einer der
engagiertesten Akteure. Roberto Simanowski sprach mit ihm
per E-Mail über die Entwicklung der Netzwerkkultur,
über Forschungsprojekte, die Rolle von Autor und Leser,
die Qualität der Netzliteratur, über Prozesse der
Institutionalisierung, Hypertext als 'Fröhliche
Wissenschaft' und Netz als Salon. dd:
Eine simple Frage am Anfang: Was sollte man über die
Szene im Netz wissen? HI: Das Phantastische
an der Netzwerkkultur ist gerade, daß sich im Netzraum
sehr flexibel und unmittelbar Aktionen, Initiativen und
Projekte umsetzen lassen, die zwar nicht außerhalb,
aber zumindest quer / vertikal zu
gesellschaftlich-kulturellen Hierarchien und
Machtverhältnissen laufen. Es gibt eben nicht
die Szene im Netz, sondern vielschichtige, mehr oder
minder offene (virtuelle) Gemeinschaften, Familien,
Stämme, Horden, Tribes
mit der Tendenz zu
unendlicher Differenzierung. Nehmen wir das Beispiel
Netzliteratur. Hier gibt es die techno-kommunikative Ebene
mit Muds, Moos, Mailinglists, Wettbewerben, lokalen Treffen,
Workshops, Symposien, Linklisten, Webringen,
Annotationssystemen, Fußnoten,
Daneben existiert
eine ästhetisch-produktive Ebene: kollaborative
Systeme, Schreibumgebungen, offene Textstrukturen,
Text-Sammlungen und Archive. Schließlich die
theoretisch-forschende Ebene: Konferenzen, Studier- und
Forschungsumgebungen, wissenschaftliche Hypertexte,
Webzines. dd:
Sind bestimmte Veränderungen dieser Netzwerkkultur bzw.
-kulturen in den letzten Jahren zu beobachten
gewesen? HI: Eine große
Veränderung für mich war die Herausbildung auch
deutschsprachiger Diskursgemeinschaften im Bereich
online-Literatur und Theorie in den letzten Jahren. Neben
der unendlichen Ausdifferenzierung der Interessengruppen und
Netz-Foren und der Möglichkeiten der Publikation von
allem und jedem, sind Tendenzen der Professionalisierung und
Kommerzialisierung festzustellen. Die Phase des
Experimentierens geht mit der Etablierung des Internets als
Massenmedium langsam aber sicher über in einen
Anschluß auch an ökonomische Strukturen.
Ein sehr gelungenes Beispiel
ist hier telepolis
als redaktionell unabhängiges online-Magazin zur
Netzkultur, das ein Moment des Web-Auftritts des
Heise-Verlags darstellt mit mehreren festangestellten
Redakteuren, die in verschiedenen Bereichen Beiträge
akquirieren (die auch vergütet werden!). Probleme solcher Prozesse
kann man bei Ponton studieren, die nach Experimenten
mit Performances, Radio, interaktivem TV jetzt
Auftragsarbeiten von Telecom und staatlichen Stellen (z.b im
Comenius-Projekt) durchführen, dabei aber
offensichtlich ihre weltweiten Kontakte zu
Medienkünstlern, Theoretikern etc. verspielt haben.
Im wunderbaren
Serviceangebot des Kulturservers
bilden sich jetzt die 'Communities' nur sehr
schwerfällig heraus und aus Angst vor GEMA-Forderungen
ist der Link zum Audio-Archiv weggefallen. Nach einer
Übergangsphase von nur 3 Jahren soll sich das Projekt
dann selbst tragen mittels e-commerce, Ticketing und
Werbung. dd:
Seit 1988 arbeitest du am Institut für Audiovisuelle
Medien an der Universität Hildesheim. Womit genau
beschäftigt sich das Institut, welche Projekte gibt
es? HI: Ich versuche dort
im Studiengang Kulturwissenschaften hypermediale
Erweiterungen von interdisziplinären Projekten zu
entwerfen und auch praktisch umzusetzen. Zur Zeit ist unsere
10köpfige Arbeitsgruppe - zusammen mit dem
Audio-Bereich der Universität Lüneburg - das
einzige kulturwissenschaftlichen Projekt im Rahmen der
niedersächsischen Initiative Multimedia
und Telematikanwendungen in Lehre, Studium und
Weiterbildung. An konkretem Output haben
wir 3 CD-ROMs ("1000 add One Frame. VideoNetwork", 1994);
"of(f) the www.web. Netzkultur- Kulturnetzwerke", 1996 ;
"Konfigurationen zwischen Absturz und Wirklichkeit", 1999)
und einige kollaborative
Schreibprojekte.
Unser letztes Projekt war die hypermediale Erweiterung eines
Tagungsbandes zum Kongress "Konfigurationen zwischen Kunst
und Wissenschaft" in Kassel 1997. In dieser CD-ROM
("Konfigurationen zwischen Absturz und Wirklichkeit") werden
die LeserInnen mit zwei unterschiedlichen Interfaces
konfrontiert: einer Docufiction, in der ein verrückt
gewordener Softwareagent die Materialien des Kongresses
kommentiert, und einem HTML-Interface mit verschiedenen
Index-Systemen, Web-Projekten der
KongreßteilnehmerInnen und korrespondierenden
Projekten, Audio-Ausschnitte aus den Vorträgen
Unser Ziel war, mit dieser hybriden Produktion aus Buch und
CD-ROM neue diskursive Konstellationen zu erkunden, die sich
aus einem Zusammenspiel der verschiedenen medialen Diskurse
zwischen Buch, CD-ROM und den offenen Netzwerkstrukturen
entfalten können. dd:
Welchen Gewinn bringt eine solche diskursive Konstellation
konkret? Wie wurde die CD-ROM vom (akademischen) Publikum
aufgenommen? HI: Hypermediale
Erweiterungen relativieren die Rolle des Textes in der
Medientheorie und lassen vor allem die
LeserInnen/NutzerInnen umschalten zwischen verschiedenen
Aussageebenen: teils können auch die angesprochenen
Klang-, Video- oder Bildbeispiele zu entsprechenden Stellen
der Vorträge inspiziert werden, verschiedene
Fundstellen zu Schlagwörtern und Namen werden vertikal
lesbar, Museumskuratoren und Medienkünstler zeigen auf
der CD-ROM Teile ihrer Werke, komplexe Netzarbeiten (wie
etwa "Body Missing" von Vera Frenkel oder "Twelfe Blue" von
Michael Joyce) stehen korrespondierend zur Buchlektüre
zur Verfügung. Das eher dokumentarisch-archivierende
HTML-Interface wurde als Arbeitsmaterial akzeptiert, das
experimentelle "Docufiction"-Interface, in dem wir uns auch
bissige Kommentare etc. erlauben, stieß dagegen
teilweise auf Ablehnung. dd:
Wie kommt man an diese CD-ROM? HI: Die CD-ROM ist
der Tagungsdokumentation (Konfigurationen zwischen Kunst und
Medien, hg. v. Sigrid Schade und Christoph Tholen,
München 1999) beigefügt oder über
mich
zu beziehen. dd:
Kannst du zwei Worte zur Vernetzung eurer Arbeitsgruppe mit
anderen Forschungseinrichtungen sagen? HI: Im intermedialen
Feld passiert allerdings nicht allzuviel - wir arbeiten
zusammen mit vielen Einzelpersonen und Initiativen im Netz,
mit Medienfestivals und Kongressen, z.B. bei der Herausgabe
von CD-ROMs, und mit der Kulturinformatik
an der Universiät
Lüneburg. Ich wünsche mir mehr
konkrete Zusammenarbeit im und über das Netz:
gemeinsames Schreiben und Editieren von Textkonvoluten,
Anlegen von Archiven, Zettelkästen - aber auch das
Bearbeiten und Verändern von Datenbasen. Wir planen als
nächsten Arbeitsschritt in unserem Forschungsprojekt
Materialkonstellationen (Texte, Zitate, Bilder, Sounds)
über das Netz kollborativ zu gestalten und zu
editieren, verschiedenen Zugriffe, Öberflächen,
Interfaces zu entwerfen. dd:
Mit welchen Projekten geht ihr ins neue
Jahrhundert? HI: Im Herbst werden
wir zunächst in workshops und Symposien zu
Netzliteratur, Gedächtniskunst, digitalen
Wissensordnungen, Cut-Up- und Montage-Techniken versuchen,
ein breiteres Feld von Zusammenarbeit zu entfalten, woraus
sich entweder ein intensiveres CD-ROM/Netzwerk/Buch-Projekt
entwickelt. Was wir während oder auch nach der EXPO
machen, wissen wir noch nicht
Zur Zeit versuchen wir, zur
Thematik Editier-Praxis einen "Science/Fiction"
Hypertext zu Walter
Benjamins Passagenwerk und zu Deleuze/Guattaris Rhizom-Text
zu entwickeln. Beide Texte arbeiten sich ja auf ganz
verschiedene Art und Weise an der Autorenfunktion ab:
Benjamins materialistische Theoriemontage führt
einerseits ein in das Arbeiten mit Zettelkästen (wie
wir es dann auch in einem weiterführenden
systemtheoretischen Theoriegeflecht bei Luhmann
finden). Es stellen sich Fragen nach Verknüpfung,
Kohärenz und nach Navigations- und
Forschungsmöglichkeiten der Leser / User. In "Mille Plateaux" und den
Ansätzen "deleuzianischer Netzarbeiten"
(Deleuze
Immedia) werden wir
mit Schichtungen von textuellen Strömungen auf
verschiedenen Ebenen konfrontiert ... mich interessiert vor
allen der Werkzeugbegriff, von Texten und Theorien, mit
denen LeserInnen experimentieren sollen. Deleuze/Guattari
schreiben dazu in einer email: "Findet die Stellen in einem
Buch, mit denen ihr etwas anfangen könnt! Es gibt
keinen Tod des Buches, sondern einen neue Art des Lesens. In
einem Buch gibt's nichts zu verstehen, aber viel womit man
etwas anfangen kann.
" (Paris, 1. 5. 1976) |